Fünf Wochen Apple iPad - Eine Bestandsaufnahme
(14.07.2010 00:00 CET)
Keine Frage: Apple hat mal wieder genau das gemacht, was man aus langjähriger Erfahrung erwarten konnte: Eine markige Produktpräsentation, Marketing auf allen Kanälen, zu wenige Geräte, um alle Vorbesteller zu befriedigen, Business as usual also.
Nur ist in der Summe das kein Argument, ein Produkt pauschal zu bewerten. Das iPad mag oder mag nicht seine Berechtigung haben, eines steht fest: Es löst kein bestehendes Gerät ab. Das Netbook nicht, weil das iPad zu eingeschränkt in seinen Applikationen und Anwendungen ist, den iPod nicht, weil das iPad deutlich schwerer und Hosentaschen-inkompatibler ist, und natürlich ein echtes Notebook schon gar nicht. Irgendwo dazwischen liegt der Anwendungsbereich des iPads... und der Selbstversuch soll die Nische bestimmen.
Obige Einschränkungen sind wichtig, um überhaupt Spass am iPad zu haben. Wer meint, ein Notebook abzulösen, der wird ob der Bindung an den App Store schnell frustriert sein. Nach kurzer Zeit war für mich der Spitzname für das iPad klar: Couch Potatoe. Die Anwendung für all die kleinen Dinge, die man nicht am Tisch sitzend durchführen möchte. Surfen im Internet, Mails lesen (und auch beantworten), Filme schauen, RSS-Feeds, Bücher, Zeitungen lesen, alles auf einem Gerät. Und genau dafür ist das iPad wie geschaffen:
Der allererste Schritt nach dem Erhalt des Geräts aus den Händen des Manns in brauner Uniform war der Test der selbstgeschnippselten micro-SIM-Karte. Im Wahn der Bestellung hatte ich spontan die von vodafone mitbestellt, ohne mir Gedanken darüber zu machen, ob das kostenmäßig sinnvoll war. 20 Cent für die Karte waren verschmerzbar, 14,95 für 200MB im Monat (oder 29,95 für eine Flatrate) eher weniger. In sofern hatte ich bereits im Vorfeld mit der genialen Schablone von macnotes meine vorhandene UMTS-SIM-Karte mit einer Twincard ergänzt und zugeschnitten. Hinweis: hermes-Paketaufkleber eignen sich hervorragend für den Ausdruck... :D. Fazit: Passt und funktioniert hervorragend. Im Gegensatz zu den vorkonfigurierten SIMs, die vodafone und O2 anbieten, muss man zwar den APN manuell eingeben, dank Bing und Co. aber kein wirkliches Problem.
Die Basiskonfiguration (Aktivieren per iTunes, Einrichten des Zugangs zum Exchange Server und diversen POP3-/IMAP-Postfächern) ist in wenigen Minuten geschafft. Das iPad ist nicht umsonst ein Maxi-iPod mit dem entsprechenden Betriebssystem.
Nachdem der Exchange-Server die Kontakte, Termine und eMails ausgeliefert hat und das Gerät aktuell ist, bietet sich die Synchronisation der Medieninhalte via iTunes an. Auch hier: Wer bereits einen iPod/ein iPhone eingerichtet hat, befüllt das iPad im Schlaf.
Nun zur Anwendung: Nachdem die Internet-Verbindung via UMTS oder WLAN eingerichtet ist, bewegt sich das iPad mittels des Safari-Browsers durch das WWW, und das unerwartet problemlos. Gerade die Diskussion rund um den Verzicht auf Flash hatte den Eindruck entstehen lassen, das iPad habe einen vollkommen beschnittenen und daher die Internet-Erfahrung zum Frustfaktor werdenden Browser. Vorsichtig formuliert: Kann ich nicht nachvollziehen... Ich habe nur wenige Seiten erlebt, die nur eingeschränkt oder gar nicht nutzbar waren (leider darunter die meines bevorzugten Pizzadienstes... L). Keine Frage: Den Verzicht auf Flash macht dies nicht besser, die Einschränkung in der Praxis aber wird damit auf ein erträgliches Maß reduziert. Und nach meiner Einleitung oben sollte bereits klar sein, dass das iPad eben KEIN vollständiger Ersatz eines Net- oder Notebooks sein kann!
Auf der Couch fällt als erstes das spürbar geringere Gewicht des iPads im Vergleich zu einem beliebigen Notebook auf... auch wenn das Aluminium-Gehäuse immer noch schwer genug ist, es in einigen Positionen als unbequem schwer zu empfinden (siehe die Anwendung als eBook-Reader). Nun sitzt man da, freut sich des Surfens, da meldet sich mit einem leisen Ton eine neue eMail an. Sie zu öffnen ist die leichteste Übung, nur steigt der Adrenalinspiegel plötzlich an: Mails schreiben? Auf dem iPad? Mit einer Bildschirmtastatur? Ruhig bleiben... mit Geduld und Spucke geht auch dies: Dreht man das iPad ins Querformat, dann ist die Bildschirmtastatur fast so groß wie die physische Tastatur eines Netbooks, und mit ein wenig Übung lässt sich darauf – nicht zuletzt wegen der hervorragenden Rechtschreibkorrektur – fast so schnell tippen wie auf einer echten Tastatur. Keine Frage, für elegische Ausführungen bevorzuge ich immer noch eine normale Tastatur, aber für das mobile Kommunikationsverhalten reicht es allemal. Wer in unterschiedlichen Sprachen unterwegs ist (bei mir Deutsch und Englisch), der sollte in den Einstellungen die entsprechenden internationalen Tastaturen aktivieren, denn damit ändert sich nicht nur die Tastaturbelegung, sondern auch das für die Rechtschreibkorrektur verwendete Wörterbuch.
Nachdem nun die Grundbedürfnisse mobiler Kommunikation nachweisbar befriedigt sind, bleibt die Frage nach dem Multimedia- und Entertainment-Faktor. Die Antwort ist einfach: Das iPad ist ein überdimensionaler iPod. Punkt. Von seiner verpflichtenden Bindung an iTunes als Medientankstelle über die Notwendigkeit, die meisten Videoformate vor Übertragung ins MP4-Format umwandeln zu müssen bis hin zur Steuerung der Wiedergabe auf dem Gerät selbst: Mag man den iPod, mag man das iPad. Wenn nicht, dann nicht.
Ein wenig schade ist es natürlich schon, wenn man für die MP3-Wiedergabe das komplette Display verschwendet (oder besser: Entweder die Titel/das Cover sieht oder eben nur eine andere Applikation, die Musik nur hört), dem Vernehmen nach soll allerdings die OS4-Implementierung für das iPad genau dieses Thema angehen... das bleibt aber abzuwarten, zumal die iOS4-Update-Ankündigung für Juni 2010 alleine für die iPods und iPhones, nicht aber für das iPad galt.
Während die Videowiedergabe auf Grund der Größe und Brillianz des Displays grundsätzlich eine wahre Wonne ist, ist das Display selber in der Kritik: Hier geht es nicht um dessen Leistung, sondern um die Apple-typische Verspiegelung und Empfindlichkeit für Fingerabdrücke. Keine fünf Minuten mit dem Gerät, und das Display ist übersäht mit Schleifspuren, Tappsern etc. Das Mitführen eines Microfasertuches ist da fast schon Pflicht. Die Schmierspuren fallen nicht nur auf, wenn das Display aus ist, besonders beim Lesen von Inhalten wie eMails, eBooks etc. merkt man, das an diesen Stellen die Schärfe nachlässt.
Eine Schutzfolie ist eine theoretische, in der Praxis aber nicht optimale Alternative: So gut sie auch sein mag, eine Schutzfolie nimmt dem Display Brillanz und Schärfe, vor allem, wenn sie entspiegelt.
Auch wenn Springer-Chef Döpfner das iPad in einem Interview als den Heilsbringer der Medienbranche gepriesen hat, so recht fehlt vielen mit der Branche Vertrauten der Glaube. Ansätze zur Digitalisierung der Medienwelt gab es in der Vergangenheit einige: Zeitungen als EPaper, eBook Reader ala Kindle und den Sony PRS-Modellen, so recht erfolgreich waren sie aber nicht. Allgemein das Thema des Bezahl-Contents im Internet scheint momentan eher ein theoretisches Gebilde als ein lohnendes Geschäftsmodell.
Auch hier wieder meine ganz subjektive Praxissicht: Ich war einer der ersten, die den Sony eBook-Reader gekauft haben, alleine wegen der Platzersparnis im Koffer (ein kleiner Reader gegen 12 Bücher bedeutet spürbare Platz- und Gewichtsersparnis). Genervt hat mich das Zusatzgerät zum Notebook aber trotzdem.
Als durchaus interessierter Leser habe ich immer wieder Versuche unternommen, Focus oder Spiegel zu abonnieren... diese aber immer abbestellt, weil die Magazine nie da waren, wo ich gerade Zeit hatte sie zu lesen. Genau das selbe gilt für Zeitungen: Diverse Probeabos, aber auf Grund des Formats und der Tatsache, dass auch die Zeitung nie da war, wo ich lesen wollte, schnell verstrichen.
Zwei Wochen nach Start der iPad-Nutzung stellt sich die Situation ganz anders dar: Mein Reader ist verkauft, mein iBooks-Bücherregal ist voll. Den Spiegel habe ich abonniert (etwas teurer als die Print-Ausgabe, aber dafür mit Videos, Hintergrundreportagen etc.). Samstags um 22 Uhr ist er heruntergeladen, und Artikel für Artikel meist schon am Montag durchgelesen.
Die Welt, für einen Monat als kostenlose Applikation verfügbar und dann mit knapp 11 Euro pro Monat zu zahlen bringt mich dazu, Samstags morgens gemütlich auf der Terrasse zu sitzen und Zeitung zu lesen... mit dem Vorteil, dass die Aktualisierung mehrmals täglich stattfindet, die Ausgabe also aktueller als die Printversion ist.
(Ledertasche von http://www.pielframa.com)
Keine Frage: bei all den Vorteilen gibt es auch durchaus Nachteile: Apple verwendet für iBooks zwar den epub-Standard, ein Austausch zwischen Systemen aber ist unmöglich: Die für den eBook-Reader bei Thalia und Libri gekauften Bücher lassen sich nicht auf das iPad transferieren und lesen (die Dateien kommen zwar an, können aber nicht geöffnet werden), und anders herum geht es ebenso nicht. Ärgerlich besonders deshalb, weil zumindest die „normalen“ DRM-geschützten Bücher auf bis zu fünf Readern verwendet werden dürfen... es liegt also an der Abschottung der Apple-Produkte.
Die allgemeine Thematik des Bezahlcontents trifft auch für die digitale Ausgabe der „Welt“ zu: Warum für etwas bezahlen, was im Internet auch kostenlos zu finden ist (beispielsweise auf http://www.welt.de)? Dies muss jeder Anwender für sich selbst entscheiden, Fakt ist aber, dass es den Aufwand minimiert: Alle Informationen konsolidiert auf einen Blick zusammenzuhaben, das ist zumindest mir einen monatlichen Obulus wert.
Bei einem Wochenseminar Anfang Juli haben sich die oben beschriebenen Eindrücke noch mal verfestigt. Mein Notebook hatte ich mit, habe es aber kein einziges mal genutzt. Surfen, (auch lange) Mails beantworten, lesen, Musik hören, Filme schauen, all das geht prima – und aus meiner Sicht deutlich bequemer als mit einem Netbook.
Auf der Fahrt von Düsseldorf (ab: 10:53) nach Zinnowitz (an: 18:48) habe ich die halbe vierte Staffel Stromberg, den ganzen Film „Männer, die auf Ziegen starren“ angesehen, den kompletten Spiegel der Woche gelesen, im Internet gesurft, Musik gehört und Mails geschrieben. Durchgängig also das Gerät betrieben. Bei Ankunft stand der Akku auf sagenhaften 35 Prozent Kapazität. Das mach mir jemand mit einem Note- oder Netbook mal nach!
Preis:
ab EUR 499,- (16GB) bis EUR 699,- (64GB) als WLAN-Modell, EUR 100,- Aufpreis für die UMTS/WLAN-Version.
Fazit:
Definieren wir den Anwendungsbereich ganz klar: Das iPad ist ein Gerät, das vollends alleine steht und keinen Anspruch darauf erhebt, ein Notebook, ein Handy, einen PDA, einen MP3-Player zu ersetzen. Im Normalfall ist es also eine Zusatzanschaffung.
Als ein Gerät, das fast alles kann aber möchte ich es nicht mehr missen. Zuhause lese ich fast ausschließlich über das iPad (seien es RSS-Feed, Twitter, Facebook, Bücher, Zeitschriften), auf der Couch/im Garten surfe ich exklusiv damit, schreibe meine Mails etc.
Wenn ich ernsthaft arbeiten will, dann sind Notebook und Desktop ohne Frage immer noch Mittel der Wahl.
Mangels echter Alternativen (der Microsoft Courier und der HP Slate kommen da in den Kopf) ist das iPad momentan wohl konkurrenzlos... und ob die diversen Android-Tablets dagegen ankommen, ist zumindest fraglich.
Ich kann nur empfehlen, wenn, dann richtig zu investieren. Zu kleiner Speicher rächt sich schnell, weil man deutlich mehr sortieren muss, wann man welche Filme/Musik/Apps mitnimmt (mit meinen 32GB bin ich am Rand). Auf Grund der verschiedenen mobilen Internetangebote, die man sich ohne Vertragsbindung so schneiden kann, dass die Kosten handhabbar sind, ist der Verzicht auf das UMTS-Modul ein weiteres Einsparpotential, das mir unsinnig erscheint.
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